Lebensbilder
Seligenstädter Geschichte
Mit der Schenkung Ludwigs des Frommen vom 11. Januar 815 ist Seligenstadt in das Licht der Geschichte getreten, also vor fast zwölfhundert Jahren. Es kann sich glücklich schätzen, über viele steinerne Zeugen seiner Vergangenheit zu verfügen. Das ist aber nicht alles. Dazu gehören vor allem auch Menschen, die hier geboren sind, hier gewirkt haben oder auf andere Weise mit der Stadt in einer engen Verbindung standen.
In loser Folge werden hier kurze Lebensbilder solcher Persönlichkeiten eingestellt. Auch das gehört zu einem Portrait der Stadt.
Als erstes eine biographische Skizze eines Mannes, den man u.a. als einen der Väter u.a. des Industriedesigns bezeichnen kann: Franz Boeres (1872-1956).
Der Seligenstädter Ehrenbürger Franz Boeres war bedeutend in einem Beruf, den man heute als Designer bezeichnet, als Produktgestalter, damals Entwurfszeichner genannt. Das war aber nur ein Teilgebiet seines Schaffens u.a. als Zeichner, Modelleur und Maler.
Geboren am 4. September 1872 in Seligenstadt, erlebte er eine behütete Kindheit mit zwei älteren Brüdern und zwei jüngeren Schwestern. Sein Vater Johann Böres hatte eine Lederfabrik gegründet, die der Familie ein solides Auskommen und Ansehen sicherte. Seine Mutter Katharina geb. Blum prägte maßgeblich seine lebenslange religiöse Bindung. Im Elternhaus wurde Hausmusik gepflegt, vorgelesen, gebastelt und im nahen Spessart gewandert. Franz Boeres hat es später als "göttliche Fügung" bezeichnet, dass keine kaufmännische Lehrstelle vakant war und seine früh entdeckte manuelle Geschicklichkeit in 1886 auf Vermittlung des Seligenstädter akademischen Malers Karl Rettinger ihn auf die traditionsreiche Zeichenakademie in Hanau führte. Nach fünf Jahren schloss er dort sein Studium ab, nahm aber das Angebot einer Assistentenstelle nicht an, weil es ihm eine Einschränkung seines künstlerischen Strebens bedeutet hätte. Vielmehr nahm er 1892 eine Stelle als Zeichner und Modelleur bei der weithin bekannten kunstgewerblichen Werkstatt und Erzgießerei Stotz in Stuttgart an. Das ermöglichte ihm eine Weiterbildung, besonders auf dem Gebiet der Großplastik. Das Unternehmen hatte eine große Anzahl von Aufträgen für Denkmale im Stil der Zeit.
Für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin entwarf Boeres den Kronleuchter, wobei er aber sich auch Wünschen des Kaisers fügte. 1900 verließ er das Unternehmen, weil ihn das einseitige Entwerfen von historisierendem Grabschmuck und anderem Zierat einengte, blieb ihm aber bis zum Tod des Inhabers Paul Stotz, einer dominierenden Persönlichkeit, in freier Mitarbeit verbunden. Boeres war nunmehr als selbständiger Gestalter, als Designer tätig. Bestimmend für die Jahrhundertwende war die Ablehnung der Unterscheidung von "hoher" und "niederer" Kunst, des Unterschiedes von "Kunst" und "Kunsthandwerk". Franz Boeres suchte die Freiheit zu künstlerischer Gestaltung. Die Nähe zu den bedeutenden Industrieunternehmen der Region verschaffte ihm zahlreiche Aufträge. Bei seiner aus Überzeugung sparsamen Lebensführung kam er zu Wohlstand, bis die Ersparnisse in der späteren Inflation untergingen. Er pflegte daneben weiter das Zeichnen, inhaltlich und stilistisch der Vorstellung des Jugendstils entsprechend. Ein ganz wesentlicher Teil seines Schaffens war lebenslang das Modellieren von Portraitplaketten.
1905 gelang ihm mit einer großen Sonderschau mit Gestaltungsvorschlägen für Möbel, Lampen und andere Gebrauchsgüter ein Durchbruch. Das führte zu einer fünfjährigen Tätigkeit des Entwurfs von Schmuckstücken für den Pforzheimer Juwelier Fahrner, einer der modernsten Schmuckhersteller Deutschlands in dieser Zeit.
Intensiv war auch die Tätigkeit für die Industriellenfamilie Bosch. Robert Bosch übertrug ihm die Ausstattung seiner Villa von Grund auf und die Gestaltung seines Grabmales. Auch war er mit der Ausgestaltung der Landhäuser der Familienangehörigen befasst.
Nach dem Ersten Weltkrieg, in den Zwanziger Jahren erhielt Boeres eine stattliche Zahl von Aufträgen von Städten und kleineren Gemeinden zum Entwurf von Denkmalen. Intensiv pflegte er daneben die Malerei. Während des Zweiten Weltkrieges widmete er sich der Ordnung seines Nachlasses und der Sicherung vor den Luftangriffen auf Stuttgart. Bei einem der Angriffe verlor er seine Wohnung, die räumliche Enge der Ersatzunterkunft verwies ihn weitgehend nur noch auf das Malen und – Schreiben! Die Währungsreform von 1948 brachte ihn erneut um seine Ersparnisse, ein Leben in wirtschaftlicher Bedrängnis war die Folge. Eine große Ehrung erfuhr der 75jährige durch die Ausstellung seines umfangreichen Werkes in den Räumen des Württembergischen Künstlerverbandes. Seine Heimatstadt verlieh ihm die Ehrenbürgerwürde.
Am 24. Mai 1956 ist Franz Boeres im Alter von 84 Jahren in der Stadt seines Wirkens verstorben, auf dem Friedhof seiner Heimatstadt hat er seine letzte Ruhestätte gefunden. Sein Nachlass befindet sich in der Obhut des Landschaftsmuseums Seligenstadt. Er umfasst ca. 2500 Zeichnungen, 600 Skizzen und Studien, 150 Reliefs, 25 Ölbilder, 350 Entwurfszeichnungen zu Industrieprodukten, 280 Möbelentwürfe, 700 Entwurfszeichnungen zur Denkmal-, Brunnen- und Grabmalgestaltung. Es wäre ein Versäumnis zu verschweigen, dass der so umfassend Kreative auch schriftstellerisch tätig war: 50 Bände Märchen, Erzählungen, Gedichte und biographische Aufzeichnungen gehören ebenfalls zum Nachlass.
Quelle: Achim Zöller, Franz Boeres, Leben und Werk – Museumsschrift 1983 – Landschaftsmuseum Seligenstadt, Kulturgeschichtliche Sammlung des Kreises Offenbach.