Offenbach Post vom 29.04.2023
KLOSTERKONZERT Klarinettist und Pianist mit Kammermusik
VON KLAUS ACKERMANN
Seligenstadt - Wer der Kühle in der Einhardbasilika tapfer getrotzt hatte, erlebte eine heiße Klassik-Session in Seligenstadt, Das international renommierte Duo Thorsten Johanns (Klarinette) und Paul Rivinius (Klavier), nahezu immun gegen klimatische Unbill, lieferte einen überaus spannenden Kammermusikabend ab, vom fachkundigen Publikum im Klosterkonzert des Kulturrings begeistert gefeiert. Nachhaltig gestaltend und perfekt im Zusammenspiel boten da zwei Seelenverwandte eine große stilistische Bandbreite zwischen Romantik und Moderne.
Als Schwarzwurzel wird die Klarinette von Jazzern liebevoll tituliert. Den Krefelder Johanns, schon mit dem Aris-Quartett in Seligenstadt zu Gast, macht das Holzblasinstrument zum weltweit gefragten Solisten von Orchestern wie New Yorker und Berliner Philharmonikern.
Sein wunderschöner Ton, so geschmeidig wie ausdrucksvoll, nimmt bereits im melodisch feinen Auf und Ab der Sonate für Klarinette und Klavier des französischen Spätromantikers Camille Saint-Saёns gefangen. Die überwiegend behagliche Grundstimmung, auch von . Triolen-Akkordgängen am Klavier befördert und in einen Trauermarsch mündend, bei dem Johanns die tiefen Töne voll ausreizt, reißt erst im finalen Molto Allegro vivace auf, in dem das Duo versiert durch die Tonarten eilt und Saint- Saёns (1835-1921) mit originellen Akkorden ungewohnte Töne anschlägt.
Noch mehr zu tun hat Rivinius, gefragter Kammermusiker etwa mit dem Clemente-Trio, in der Sonate für Klarinette und Klavier f-Moll op. 120, Spätwerk von Johannes Brahms (1833-1897), der bei der Uraufführung 1895 den Part am Flügel selbst übernahm. Schon im Allegro appassionato überwiegen die grüblerischen Momente, vom Duo leidenschaftlich zugespitzt, das sich ins dramatische Moll förmlich hinein wühlt. Vom Klarinettenton beseelt, der noch im Pianissimo Substanz hat, strahlt das Andante milde Wehmut ab. Selbst der zünftige Ländler scheint nicht unbeschwert. Erst das vergnügliche Vivace ist ganz Spiel und Bewegung.
Diesen mehr oder minder schweren Brocken folgen Stücke, die teils in aphoristischer Kürze den jeweiligen Personalstil ausweisen. Dass die Klarinette in der Klangchemie des französischen Impressionisten Claude Debussy (1862-1918) eine wesentliche Rolle spielt, dokumentiert das Duo in der "Première Rhapsodie", wie die Panflöte des gelangweilten Fauns ("Prélude à l'après-midi d'un faune") anmutend, während das Klavier die Orgeltöne der "Versunkenen Kathedrale" anzuschlagen scheint.
Die Kleine Suite von Ernst Krenek (1900-1991), der zwischen Jazz und Zwölftonmu-
sik lustwandelte, katapultiert die charakteristischen Tänze der Zopfzeit über die Grenzen der Tonalität hinaus. Dagegen sind die betörenden Melodien in Robert Schumanns (1810-1856) Fantasiestücken op. 73 die reinste Erholung.
Den Vogel schießen Thorsten Johanns und Paul Rivinius aber in der Sonate für Klarinette und Klavier des stilistisch wandelbaren Francis Poulenc (1899-1963) ab. Ins Allegro tristamente fährt die Klarinette wie ein Irrwisch drein, sich in leidenschaftlichen Passagen verzehrend. Ironie ist Trumpf, in hauchfein geblasener Romanze mit schreienden Spitzentönen und im rasanten Allegro confuoco, beflügelt vom rhythmischen Schwung des Pianisten. Die gleiche diebische Freude hatten sicher Jazzklarinettist Benny Goodman und Maestro Leonard Bernstein bei der Uraufführung
1963 in der New Yorker Carnegie Hall.